Bewegung bei Rückenschmerzen: Was kann die Physiotherapie?

Was kann Physiotherapie? Die wichtigsten Fakten im Überblick

Was steckt hinter der Physiotherapie? Das sind die wichtigsten Methoden, um Schmerzen zu lindern und die allgemeine Gesundheit zu verbessern.

Arabella Grandel

5 Min. Lesezeit · Apr 16, 2024
Frau sitzt auf einem Sitzball. Ein Physiotherapeut steht hinter ihr und streckt ihren linken Arm aus. Beide lachen.

Jeder kennt sie, viele haben sie schon selbst zu spüren bekommen und doch wissen die Wenigsten über ihren Ursprung Bescheid: Wir reden von der Physiotherapie! Zunächst die Fakten:

Wenn du schon einmal den Satz „Ich gehe heute zur Physio!” gesagt hast, bist du in guter Gesellschaft. Jeder fünfte Deutsche nimmt im Laufe eines Jahres Physiotherapie in Anspruch. Wahrscheinlich hast du dich in eine der 40.100 zugelassenen Physiotherapiepraxen begeben, um dich dort von einem bzw. einer der knapp 200.000 tätigen Physiotherapeut:innen behandeln zu lassen!1,2 

Ja, die Physiotherapie boomt geradezu. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Vergütung der Krankenversicherungen für die Physiotherapie in den letzten Jahren erhöht hat. Seitdem gibt es in Deutschland immer mehr Praxen. Eine positive Entwicklung, denn wenn du schon einmal Physiotherapie erhalten hast, weißt du auch, dass die Wartezeit bis zu deinem ersten Termin sehr lang sein kann. Aktuelle Zahlen aus Mecklenburg-Vorpommern zeigen, dass Patient:innen teilweise länger als vier Wochen auf ihre erste Behandlung warten!3 

Vielleicht hast du gerade auch zum ersten Mal Physiotherapie verordnet bekommen und bist neugierig, was dich bei deinem ersten Termin erwartet. In jedem Fall bist du hier genau richtig, wenn du dich für die vielen Wege interessierst, wie Physiotherapie zur Schmerzlinderung und zum allgemeinen Wohlbefinden beitragen kann. Lass uns loslegen und herausfinden, was hinter der bewährten Therapiemethode steckt.

Physiotherapie: Definition und Grundprinzipien 

Physiotherapie, auch als „physikalische Therapie“ oder „Krankengymnastik” bekannt, ist eine medizinische Disziplin, die sich mit der Wiederherstellung und Verbesserung deiner Bewegungsfunktionen und deiner allgemeinen Gesundheit beschäftigt. 

Die Hauptziele der Physiotherapie sind:

  • Schmerzlinderung, 
  • gezielter Muskelaufbau,
  • Verbesserung der Koordination,
  • Lösen von Verspannungen,
  • Förderung der selbstständigen Prävention von Schmerzen im Alltag

Aber warum brauchen eigentlich so viele Menschen Physiotherapie? Ein Blick in die Statistik gibt Antworten – mehr als 42 Prozent aller Rezepte werden aufgrund von Wirbelsäulenerkrankungen ausgestellt. Die häufigste Erkrankung der Wirbelsäule ist genauer gesagt ein Symptom: der nicht-spezifische Rückenschmerz.1,4 Nicht-spezifische Rückenschmerzen haben keine eindeutige Ursache, das heißt, dass bei der ärztlichen Untersuchung keine Hinweise auf dringend behandlungsbedürftige Erkrankungen gefunden werden konnten. In diesen Fällen ist Bewegung eine der ersten und wichtigsten Maßnahmen, um den Rückenschmerz anzugehen!

Aber auch bei chronischen Rückenschmerzen spielt Bewegungstherapie eine wichtige Rolle. So wird in 90 Prozent aller Fälle eine Physiotherapie verordnet.4 

Von wem wird Physiotherapie verordnet?

Physiotherapeutische Einheiten können dir von Hausärzt:innen, Orthopäd:innen, Neurolog:innen und Chirurg:innen verschrieben werden. Auch Zahnärzt:innen können dir Physiotherapie verschreiben, wenn du Probleme mit deinem Kiefergelenk hast. In der Regel werden dir sechs bis zehn Einheiten von jeweils 15 – 25 Minuten verordnet. 

Ein kurzer Blick in die Geschichte der Physiotherapie

Die Praxis der Physiotherapie hat tatsächlich historische Wurzeln, die bis in die Antike zurückreichen. Schon im alten Griechenland wurden physikalische Techniken zur Behandlung verschiedener Leiden angewandt.

Hippokrates, der oft als der Vater der Medizin bezeichnet wird, empfahl bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. Massagen, Heilbäder und „Leibesübungen” als Teil medizinischer Behandlungen. Die Medizin ging schon damals davon aus, dass Krankheit ein Zusammenspiel physischer und psychischer Störungen ist. Die Behandlung zielte also darauf ab, mit interdisziplinären Verfahren möglichst schnell wieder ein harmonisches Gleichgewicht herzustellen.5,6 

Die moderne Physiotherapie ist stark evidenzbasiert, was bedeutet, dass die angewandten Methoden und Techniken durch Forschung unterstützt und weiterentwickelt werden. So zeigen wissenschaftliche Studien der letzten Jahre, dass Physiotherapie eine wirksame Behandlungsform ist, um Rückenschmerzen zu reduzieren. Die Evidenz zeigt, dass sie besonders effektiv ist, wenn sie mit Elementen der manuellen Therapie, Bewegungsübungen und Patientenschulung kombiniert wird.7,8

Welchen Ansatz verfolgt die Physiotherapie?

Wie Hippokrates betrachten Physiotherapeut:innen auch heute noch Körper und Geist als ein ganzheitliches System. Die Therapie zielt also darauf ab, nicht nur die akuten Symptome zu behandeln, sondern auch den Ursachen deiner Beschwerden auf den Grund zu gehen. 

Dazu entwickeln die Therapeut:innen individuell angepasste Behandlungspläne, die genau auf deine spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Durch diese Herangehensweise fördert die Physiotherapie nicht nur eine kurzfristige Erholung und Schmerzlinderung, sondern unterstützt auch die Prävention weiterer Verletzungen. Dazu nutzt sie unterschiedliche Ansätze und Techniken, die wir uns im nächsten Abschnitt einmal genauer anschauen wollen.6,9

Techniken der Physiotherapie

Bewegungstherapie:

  • Dehnungsübungen: Förderung der Flexibilität und Beweglichkeit.
  • Kräftigungsübungen mit und ohne Geräte: Stärkung der Muskeln zur Unterstützung und Stabilisierung der Gelenke, des Rumpfes und des Rückens.
  • Koordinationstraining: Verbesserung der Körperkontrolle und des Zusammenspiels verschiedener Muskelgruppen.
  • Rehabilitation: Gezielte Übungen, um funktionelle Störungen des Bewegungsapparates zu behandeln, beispielsweise nach einer Sportverletzung oder Operation.

Manuelle Therapie:

  • Mobilisation: Sanfte Bewegungstechniken, um die Beweglichkeit der Gelenke zu verbessern und Schmerzen zu reduzieren.
  • Manipulation: Schnelle, gezielte Massagetechniken, die auf spezifische Gelenke angewendet werden, um die Bewegungsfreiheit zu erhöhen.

Massage:

  • Klassische Massage: Lockerung der Muskulatur, Förderung der Durchblutung und Entspannung.
  • Tiefengewebsmassage: Zielgerichtetes Arbeiten an tieferen Muskelschichten, um chronische Muskelverspannungen zu lösen.
  • Manuelle Lymphdrainage: Gezielte Druckbewegungen, um die Lymphflüssigkeit im Körper zu bewegen.

Elektrotherapie:

  • TENS (Transkutane Elektrische Nervenstimulation): Nutzung von elektrischem Strom zur Schmerzlinderung.
  • Ultraschalltherapie: Einsatz von Schallwellen zur Förderung der Gewebeheilung und zur Schmerzreduktion.

Thermotherapie und Kryotherapie:

  • Wärmebehandlungen: Einsatz von Wärme zur Entspannung der Muskeln und zur Verbesserung der Durchblutung, beispielsweise mit Moor- oder Fangopackungen.
  • Kälteanwendungen: Verwendung von Eispackungen oder Kaltluft zur Reduktion von Entzündungen und Schwellungen.

Atemübungen und Entspannungstechniken:

  • Techniken zur Verbesserung der Atmung und zur Entspannung, zum Beispiel autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung.

Nun weißt du, was hinter der Physiotherapie steckt und welche Anwendungen sie umfasst. Schauen wir uns jetzt genauer an, wie Physiotherapie bei Rückenschmerzen helfen kann.

Physiotherapie bei Rückenschmerzen

Etwas 85 Prozent aller Patient:innen, die ihren Hausarzt bzw. ihre Hausärztin aufsuchen, tun dies aufgrund von Rückenschmerzen.10 Nach einem Gespräch über die eigene Krankengeschichte und einer kurzen körperlichen Untersuchung, haben Ärzt:innen meist genug Anhaltspunkte, um ernstzunehmende Ursachen wie einen Bandscheibenvorfall, eine Fraktur oder einen Tumor an der Wirbelsäule auszuschließen. Die Ursachen nicht-spezifischer Rückenschmerzen können jedoch sehr komplex sein. Von deiner täglichen Schrittzahl über deine Gewohnheiten bis hin zu deiner Arbeitsweise gibt es viele Anhaltspunkte, warum dein Rücken sich mit Schmerzen meldet. Häufig steckt jedoch Bewegungsmangel dahinter. 

Zu wenig Bewegung führt dazu, dass die Rückenmuskulatur immer schwächer wird und alltägliche Belastungen immer schlechter meistern kann.11 Aktiv zu werden und zu bleiben ist deshalb der erste Schritt, um nicht-spezifische Rückenschmerzen zu behandeln! Physiotherapie ist dann meist die erste Wahl der orthopädischen Behandlungsmöglichkeiten bei Rückenschmerzen.12 

Spezifische physiotherapeutische Maßnahmen bei Rückenschmerzen

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Therapie bei Rückenschmerzen ist auch die Ergonomieberatung, bei der Patient:innen lernen, wie sie ihre Haltung und Bewegungen im Alltag und am Arbeitsplatz optimieren können, um Rückenschmerzen vorzubeugen und zu behandeln. Auch Lifestyle-Modifikationen, eine Beratung zum Aktivitätsniveau, Gewichtsmanagement und Stressreduktion sind von Bedeutung, um die Rückengesundheit langfristig zu fördern. 

Du siehst, dass Physiotherapie viel mehr umfasst als nur klassische Rückenübungen.

Idealerweise werden Physiotherapeut:innen gemeinsam mit dir einen Behandlungsplan erstellen, der deine Beschwerden reduziert. Das ist auch für den Therapieerfolg entscheidend. So zeigt eine Metastudie der Goethe-Universität Frankfurt, dass eine individualisierte Behandlung zu einer deutlich höheren Schmerzlinderung führt im Vergleich zur Standardbehandlung.13 

Wie du nun erfahren hast, ist Physiotherapie eine umfassende Behandlungsmethode, die viele Techniken umfasst, um Rückenschmerzen zu lindern, aber auch deine allgemeine Lebensqualität zu verbessern. Lass dich von deinem Arzt bzw. deiner Ärztin beraten, ob Physiotherapie bei deinen Beschwerden die richtige Wahl ist. Abschließend möchten wir betonen, wie wichtig dein Einsatz auf dem Weg ist, deine Rückenschmerzen zu reduzieren. Du bist der wichtigste Teil deiner eigenen Behandlung! Wenn du aktiv daran teilnimmst und die Empfehlungen deines Therapeuten bzw. deiner Therapeutin im Alltag umsetzt, erreichst du die besten Ergebnisse.

Quellen

  1. https://www.physio-deutschland.de/fileadmin/data/bund/news/pdfs/Faktenblatt_Physiotherapie_2017.pdf
  2. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/141146/Gruendungsboom-bei-Physiotherapiepraxen 
  3. https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/Physiotherapeuten-Wartezeiten-auf-Termin-immer-laenger-439183.html 
  4. https://www.iww.de/pp/perspektiven/heilmittelverordnung-barmer-heilmittelreport-2022-zwei-aufreger-aber-auch-erhellendes-zu-rueckenschmerzen-f152398 
  5. https://naturheilkunde.immanuel.de/leistungsspektrum/therapien/physiotherapie/ 
  6. https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/medizinische-schmerzbehandlung/schmerz-und-physiotherapie 
  7. https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1179/174328808X252000 
  8. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0004951414601690?via%3Dihub 
  9. https://www.gesundheitsinformation.de/physiotherapie.html 
  10. https://physiotherapeuten.de/news/2024/03/gesunder-ruecken-dank-physiotherapie/ 
  11. https://www.gesundheitsinformation.de/warum-bewegung-bei-rueckenschmerzen-wichtig-ist.html 
  12. https://www.ratgeber-nerven.de/rueckenschmerzen/hilfe/physiotherapie/ 
  13. https://www.jpain.org/article/S1526-5900(22)00364-9/fulltext 
Arabella Grandel
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