So wirkt die Multimodale Schmerztherapie bei Rückenschmerzen

Multimodale Schmerztherapie: Rückenschmerzen ganzheitlich lindern

Rückenschmerzen und insbesondere chronische Schmerzen haben komplexe Ursachen. Wir stellen dir einen ganzheitlichen Behandlungsansatz vor.

Arabella Grandel

6 Min. Lesezeit · Mai 3, 2024
Eine Frau sitzt auf einer Arztliege. Eine Ärztin steht hinter ihr und neigt ihren Kopf zur Seite.

Rückenschmerzen und insbesondere chronische Rückenschmerzen zu verstehen, bedeutet, den Menschen als Wesen zu verstehen – seine Gewohnheiten, seinen Lebensstil, sein soziales Umfeld und welche Gefühle ihn durch seinen Alltag begleiten. Nur dann ist es möglich, Veränderungen anzustoßen, die langfristig zu einer Linderung führen. Dabei hilft die sogenannte multimodale Schmerztherapie. 

Du hast noch nie von dieser Behandlung gehört? Das ist nicht verwunderlich, denn nur ein kleiner Teil der Patient:innen, denen eine multimodale Therapie helfen würde, bekommt sie tatsächlich verordnet. 

Dabei ist es gerade bei chronischen Schmerzen wichtig, nicht nur ein Symptom zu behandeln, sondern das große Ganze zu berücksichtigen. Die Suche nach dem Auslöser für deine Schmerzen ist wie ein Puzzle – erst wenn alle Teile miteinander verbunden sind, entsteht ein ganzes Bild. Entsprechend umfassend sollte auch der Behandlungsansatz sein. Wir haben die wichtigsten Informationen zur multimodalen Schmerztherapie auf einen Blick.

Multimodale Therapie zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen

Ein ganzheitlicher Ansatz ist besonders wichtig, wenn sich akute Schmerzen chronifizieren, also länger als drei Monate andauern.1 Auch wenn die Schmerzen mal stärker, mal schwächer ausgeprägt sind, wirken sie sich langfristig negativ auf die Lebensqualität, die Psyche und das Sozialleben aus. 

Chronische Rückenschmerzen sind keinesfalls Einzelfälle. Bei einer Querschnittsbefragung des Robert Koch Instituts von Erwachsenen in Deutschland, gaben 15,5 Prozent der Befragten an, unter chronischen Rückenschmerzen zu leiden – darunter wesentlich mehr Frauen als Männer.2

Im Falle einer Chronifizierung der Schmerzen reichen sogenannte „unimodale” Behandlungsformen meist nicht aus. Dazu gehören einzelne therapeutische Maßnahmen, wie sie bei akuten Rückenschmerzen empfohlen werden, beispielsweise Physiotherapie oder der kurzfristige Einsatz von Schmerzmitteln.3 Ist ein multimodaler Ansatz gefragt, werden verschiedene Disziplinen vereint, um das Problem von mehreren Seiten gleichzeitig anzugehen.

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Ist die multimodale Schmerztherapie für mich geeignet?

Um diese Frage zu beantworten, werfen wir einen Blick in die Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) für nicht-spezifischen Kreuzschmerz. Eine NVL enthält Qualitätsstandards und evidenzbasierte Empfehlungen zur Behandlung, die unter anderem von der Bundesärztekammer erstellt werden. Es handelt sich also um fundierte, sichere Informationen. 

In der NVL werden multimodale Behandlungsprogramme für Menschen mit

  • subakuten Rückenschmerzen bzw. Kreuzschmerzen, die länger als sechs Wochen andauern und
  • chronischen Rückenschmerzen bzw. Kreuzschmerzen die länger als drei Monate andauern, empfohlen.

Voraussetzung ist, dass weniger intensive Therapieverfahren keine Wirkung gezeigt haben.4 Die Therapie wird auch Patient:innen empfohlen, die sich in der Übergangsphase von subakuten zu chronischen Kreuzschmerzen befinden, um einer Chronifizierung vorzubeugen. 

Voraussetzung ist auch, dass deine Schmerzen nicht-spezifisch sind, was bedeutet, dass bisher keine eindeutige Ursache für deine Schmerzen gefunden werden konnte. Zu spezifischen Ursachen von Rückenschmerzen gehören unter anderem Bandscheibenvorfälle, Verletzungen der Wirbelsäule, Tumore oder auch Entzündungen. Können Ärzt:innen diese Faktoren ausschließen, wird ein ganzheitlicher Ansatz in Betracht gezogen.

Generell wird empfohlen, nach zwei bis vier Wochen erneut den Arzt bzw. die Ärztin aufzusuchen, wenn sich die Kreuzschmerzen nach dieser Zeit noch nicht gebessert haben, um weitere Diagnostik anzustoßen oder eine andere Behandlung zu wählen. Die multimodale Schmerztherapie gilt dabei als der Goldstandard der Behandlung von Rückenschmerzen allgemein und insbesondere von chronischen Schmerzen im unteren Rücken.5,6,7  

Ansätze der multimodalen Schmerztherapie

Die multimodale Schmerztherapie basiert auf dem Ansatz, dass Schmerzen multifaktoriell bedingt sind und daher auch interdisziplinär behandelt werden sollten. Zugegeben, das klingt etwas kompliziert. Einfach gesagt, stützt sie sich auf das Bio-Psycho-Soziale Modell. Der Grundgedanke ist, dass Krankheit sowohl eine körperliche Ursache hat, als auch biologische und soziale Komponenten, die ihre Entstehung begünstigen. So können zum Beispiel Stress am Arbeitsplatz, emotionale Belastungen und das soziale Umfeld zur Entstehung von Schmerzen beitragen. 

Das Besondere einer multimodalen Behandlung ist, dass mindestens drei verschiedene Berufsgruppen an der Behandlung beteiligt sind. Dazu gehören beispielsweise

  • Psychotherapeut:innen,
  • Ergotherapeut:innen,
  • Orthopäd:innen,
  • Physiotherapeut:innen und weitere Ärzt:innen verschiedener Fachdisziplinen. 

Das Team der Behandler:innen entwickelt gemeinsam ein individuelles Therapieprogramm für jeden Patienten bzw. jede Patientin, das exakt auf seine bzw. ihre Bedürfnisse abgestimmt ist – einer der Hauptgründe für die positiven Effekte der multimodalen Therapie. Laut einer Studie ist es gerade der personalisierte Behandlungsansatz, der die Schmerzlinderung bewirkt.

Du kannst dir sicher vorstellen, dass die Therapie ziemlich intensiv sein kann. Daher wird sie hauptsächlich stationär oder teilstationär angeboten. Mittlerweile gibt es aber auch digitale Therapieprogramme, wie Kaia Rückenschmerzen, die Kernelemente der multimodalen Therapie nach Hause bringen und so für alle Patient:innen zugänglich machen. 

Ziele der multimodalen Schmerztherapie bei Kreuzschmerzen

Generell steht die Schmerzreduktion an erster Stelle. Darüber hinaus verfolgt die multimodale Therapie jedoch weitere Ziele, die mindestens genauso wichtig sind. Dazu zählen die Vermittlung von Strategien zur Stressbewältigung, eine Verbesserung der Lebensqualität sowie der Aufbau von Kompetenzen für einen gesunden Umgang mit Kreuzschmerz. 

Weitere Ziele sind: 

  • Verbesserung der Funktionsfähigkeit: Die Therapie zielt darauf ab, die allgemeine körperliche Funktionalität und Mobilität zu verbessern, sodass Patient:innen im Alltag wieder aktiv werden können.
  • Reduktion von Medikamenteneinnahme: Durch die Kombination verschiedener Therapien kann oft die Notwendigkeit der Einnahme starker Schmerzmittel reduziert und deren Nebenwirkungen minimiert werden.
  • Prävention von Rückfällen: Die multimodale Therapie strebt auch die Vermeidung zukünftiger Schmerzepisoden und die Stärkung der körperlichen sowie psychischen Resilienz an.

Schauen wir uns genauer an, aus welchen Komponenten die Therapie besteht.

Das Therapieprogramm

Ein multimodales Therapieprogramm besteht aus mehreren Bausteinen, die eng miteinander verzahnt sind und an die individuelle Schmerzintensität, Leistungsfähigkeit und Krankengeschichte der Patient:innen angepasst sind. Zudem finden viele Behandlungen, die stationär durchgeführt werden, in Kleingruppen statt. Zu den wichtigsten Elementen der Therapie gehören:

Medikamentöse Behandlung

Der Einsatz von Schmerzmitteln, die auf unterschiedliche Weise wirken, um die Schmerzempfindung zu reduzieren. Dazu gehören sogenannte nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), beispielsweise Ibuprofen, aber auch Antidepressiva oder Opiate. Die medikamentöse Therapie findet unter Aufsicht und in enger Absprache mit dem behandelnden Team von Ärzt:innen statt.

Physiotherapie

Bewegung gehört zu den wichtigsten Therapiebausteinen bei Rückenschmerzen, sowohl zur Schmerzlinderung als auch zur Prävention einer Chronifizierung. Gezielte Übungen zur Stärkung der Muskulatur, Verbesserung der Mobilität und Entlastung der Wirbelsäule gehören daher zu jedem multimodalen Therapieprogramm. 

Darüber hinaus können auch manuelle Therapie, Massagen oder Akupunktur zum Einsatz kommen.

Verhaltenstherapie

Psychologische Unterstützung und Strategien zur Schmerz- und Stressbewältigung sollen Patient:innen helfen, den Umgang mit Schmerzen im Alltag zu verbessern. Tatsächlich haben Rückenschmerzen häufig eine psychologische Komponente. Besonders bei chronischen Schmerzen spielen Angst und Depressivität eine Rolle, die sowohl eine Folge der Beschwerden sein können als auch der Auslöser.9,10 

Bei chronischen Rückenschmerzen hat sich vor allem die Verhaltenstherapie (VT) bewiesen. Diese hat zum Ziel, dass sich Patient:innen vor allem ihrer eigenen Reaktions- und Denkmuster bewusst werden. Nach dem sogenannten „Angst-Vermeidungs-Modell” reagieren die meisten Menschen entweder mit Vermeidung oder mit Konfrontation auf Schmerzen. Konfrontieren sie sich mit ihren Beschwerden, haben sie keine Angst, trotz der Schmerzen aktiv zu sein. Nach einer kurzen Schonungsphase nehmen sie meist schnell wieder ihre gewohnten Aktivitäten auf, was eine vollständige Genesung begünstigt.11

Vermeiden Menschen diese Konfrontation, tun sie das meist aus Angst davor, dass ihre Schmerzen durch Bewegung noch schlimmer werden. Auch katastrophisierende Gedanken gehören zur Vermeidung. In diesem Fall denken Patient:innen immer wieder an die schlimmstmögliche Ursache für ihre Schmerzen. Durch diese Gedanken entwickeln Patient:innen eine erhöhte Wachsamkeit gegenüber ihrem Körper und ihrem Schmerzerleben.12 Das führt zu einer Vermeidung von Bewegung und in einigen Fällen zum kompletten Rückzug aus dem Arbeitsleben und auch dem sozialen Umfeld. 

Deshalb sind psychotherapeutische Maßnahmen zur Angstbewältigung, sowie konfrontative Ansätze, um die Patient:innen wieder in Bewegung zu bringen, Teil der multimodalen Schmerztherapie. 

Ergotherapie

Die Ergotherapie vermittelt Strategien zum Umgang mit Schmerzen im Alltag, um die Eigenständigkeit und Teilnahme am beruflichen und privaten Leben wiederherzustellen. Es geht darum, dass Patient:innen aktiv an der Verbesserung ihrer Lebensqualität teilnehmen und Vertrauen in ihre Fähigkeiten zurückgewinnen. Ein wichtiger Ansatz ist außerdem, den Alltag wieder genießen zu können, auch dann, wenn die Schmerzen weiterhin bestehen.13 

Zur Ergotherapie gehören beispielsweise Bewegungs- und Wahrnehmungsübungen, kreative Tätigkeiten, Konzentrationstraining oder auch konkrete Hilfestellungen zur Organisation des eigenen Alltags.14

Entspannungstechniken

Methoden wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder Achtsamkeitsübungen können dazu beitragen, die körperliche und mentale Anspannung zu reduzieren. Deshalb sind sie ein wichtiger Teil der multimodalen Behandlung. Auch, damit Patient:innen lernen, wie sie diese Techniken im Alltag anwenden und Stress reduzieren können. 

Entspannungstechniken können bei der Schmerzlinderung helfen, indem sie die Aufmerksamkeit bewusst nach innen lenken – weg von äußeren Reizen und auch dem eigenen Schmerzerleben.15 Gelingt das, können der Körper und auch die eigenen Gedanken für einige Momente zur Ruhe kommen. Entspannungsverfahren haben sich bereits in mehreren klinischen Studien als erfolgreich in der Linderung von Rückenschmerzen bewiesen.16,17

Erfolg der Therapie

Hält die multimodale Therapie, was sie verspricht? Ein Blick in die Forschung zeichnet ein eindeutiges Bild: Die multimodale Schmerztherapie zeigt durchweg positive Behandlungsergebnisse!

So konnten laut einer wissenschaftlichen Untersuchung Rückenschmerzen nach einem mehrwöchigen multimodalen Therapieprogramm signifikant reduziert werden. Dabei berichteten Patient:innen sowohl unmittelbar nach Abschluss der Therapie als auch sechs Monate später von einer erheblichen Linderung ihrer Schmerzen.18 Zudem verbesserte sich die physische Leistungsfähigkeit kontinuierlich, wodurch Alltagsaktivitäten wieder aufgenommen werden konnten.

Eine andere Studie konnte außerdem zeigen, dass 60 bis 70 Prozent der Patient:innen direkt nach Abschluss der multimodalen Schmerztherapie wieder in der Lage waren, ihrer Arbeit nachzugehen, was eine deutlich höhere Rate im Vergleich zu traditionellen, unimodalen Schmerztherapien darstellt.19

Wir hoffen, dass wir dir einen umfassenden Überblick über die multimodale Schmerztherapie, ihre Ziele und Behandlungsansätze geben konnten. Wenn du von subakuten oder chronischen Rückenschmerzen betroffen bist, dann sprich deinen Arzt oder deine Ärztin auf die Möglichkeit einer Verordnung für die Therapie an. Grundsätzlich übernehmen Krankenversicherungen die Kosten, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Sowohl deine Versicherung als auch deine behandelnden Ärzt:innen sind die richtigen Ansprechpartner:innen, wenn du dich weiter informieren möchtest.

Quellen

  1. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9684846/ 
  2. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/JoHM_S3_2021_Rueckenschmerz_Nackenschmerz.pdf
  3. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-64329-7_20 
  4. https://www.leitlinien.de/themen/kreuzschmerz/2-auflage/kapitel-9 
  5. https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/netzwerke-der-versorgung/interdisziplinaer-multimodale-schmerztherapie 
  6. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0304395997000833 
  7. https://www.mdpi.com/2077-0383/9/1/145 
  8. https://www.jpain.org/article/S1526-5900(22)00364-9/fulltext 
  9. https://www.patienten-information.de/patientenblaetter/kreuzschmerz-psychosoziale-faktoren 
  10. https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Rueckenschmerzen-Welche-Rolle-spielt-die-Psyche,ruecken192.html 
  11. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/a-1737-8399.pdf 
  12. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/a-1737-8399.pdf 
  13. https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/physiotherapie-und-physikalische-verfahren/spezielle-schmerzphysiotherapie-und-ergotherapie 
  14. https://www.gesundheitsinformation.de/was-ist-eine-ergotherapie.html 
  15. https://aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/entspannung/wie-helfen-entspannungsverfahren-bei-schmerzen/ 
  16. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-642-29775-5_26 
  17. https://link.springer.com/article/10.1007/s004820050099 
  18. https://link.springer.com/article/10.1007/s00482-008-0727-8 
  19. https://link.springer.com/article/10.1007/s00482-009-0827-0 
Arabella Grandel
1 Kommentare

1 Kommentar

  1. Renate Westermann

    Dieser Artikel hat mich sehr interessiert. Ich bin seit 25 Jahren Schmferzpatientin und habe bereits 5 stationäre multimediale Therapien absolviert. Ursache für die Rückenschmerzen ist das verlagerte Kreuzbein und Arthrose für Schmerzen in yHänden und Fußgelenken. Mir haben die psychotherapeutischen9 Behandlungen immer sehr gut getan, weil ich mich darauf einlassen konnte. Ich nehme aber auch seit vielen Jahren starke Schmerzmittel ein. Die letzte stationäre Therapie hat 2013 stattgefunden. Es wird sicher vorteilhaft sein, daß Erlernte nochmal aufzufrischen.

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