Skiunfall, und jetzt? Mit Rückentraining gegen die Schmerzen

Wie ist das, sich bei einem Skiunfall vier Wirbel zu brechen? Unsere Kollegin Mara hat das erlebt. Jetzt teilt sie ihre Tipps für eine rückenfreundliche Saison.

Mara Dietrich

8 Min. Lesezeit · Jul 5, 2024
Zwei Ski stecken im Schnee. Sie haben gelbe Spitzen. Im Hintergrund ist eine verschneite Bergkette zu sehen und ein Skilift.

Über Mara

Mara kümmert sich bei Kaia Health um das Thema Öffentlichkeitsarbeit. Sie jongliert täglich PR-Anfragen, schreibt Pressemitteilungen, verfasst LinkedIn-Postings und tummelt sich auf Messen. Ab und zu übernimmt sie sogar unseren Instagram-Kanal.

Mara hat die DOSB Lizenz Trainer C im Breitensport Ski Alpin, die DSV Grundstufe und ist seit 2013 lizenzierte Skilehrerin. Trotz eines schweren Unfalls ist sie auch heute noch auf der Piste unterwegs und teilt hier ihre Erfahrungen.

Weißt du was passiert, wenn man sich einen Wirbel bricht? Das habe ich mich ehrlicherweise auch nie gefragt, bis ich mir im Alter von 15 Jahren bei einem Skiunfall gleich vier Wirbel auf einmal gebrochen habe. Was mir damals nicht bewusst war – Rückenverletzungen sind sehr individuell und sowohl Bruch als auch Heilungsprozess hängen von vielen Faktoren ab. In diesem Beitrag teile ich meine persönlichen Erfahrungen mit dir.

Fakt ist: Das Skifahren ist eine Risikosportart. Dank neuer Ausrüstung, wie zum Beispiel dem Carving Ski, ist der Sport heute jedoch für alle zugänglich. Als Freizeitathlet:in kannst du jetzt auch ohne Vorkenntnisse, jahrelanges Training und langwierige technische Schulung auf die Piste. 

Der scheinbar einfache Fahrspaß lockt Menschen bis ins hohe Alter und selbst mit Vorverletzungen auf den Berg. Dabei werden die Risiken oft übersehen, denn selbst für versierte Pistengäste ist die Verletzungsgefahr erheblich. So überrascht es nicht, dass der Wintersport jährlich für mehrere tausend Menschen mit Verletzungen endet.

Neben Knieverletzungen sind auch Knochenbrüche an der Wirbelsäule, Schulter und Schlüsselbein nicht selten. Doch wenn Verletzte von der Piste transportiert werden, hört die Geschichte nicht auf. So wissen die wenigsten, wie der Heilungsprozess nach einem Skiunfall verläuft. Genau das erzähle ich dir jetzt.

Teil 1: Mein Unfall

Ich bin zur Hälfte in einem Tal in Vorarlberg aufgewachsen und wurde im Winter vor meinem dritten Geburtstag zum ersten Mal auf Ski gestellt. Skifahren gehörte zu meinem Wochenende, wie unter der Woche  zur Schule zu gehen. Irgendwann führte mich das schließlich auch in die Lizenzausbildung. Im Alter von fast 16 Jahren befand ich mich mitten in der Skisaison auf einem 7-tägigen Lehrgang in den deutschen Alpen. Kurz nach der Mittagspause am zweiten Tag führte jedoch ein drohender Zusammenstoß mit einem anderen Fahrer zu einem unglücklichen Ausweichmanöver. Dabei flog ich gut elf Meter durch die Luft und landete unsanft auf der Piste.

Mit den Beinen voran kamen zuerst die Skienden im Schnee auf, brachen hinter der Skibindung und schossen pfeilartig nach oben. Den ersten Körperkontakt mit der Piste hatte mein Steißbein, kurz danach mein Rücken und Kopf. Einen Helm habe ich getragen, aber Rückenprotektoren waren damals, wenn überhaupt, bei Leistungssportler:innen üblich. 

Du kannst dir vorstellen, dass ein Schlag auf Höhe der Brustwirbelsäule auch für die Lunge spürbar ist und in meinem Fall Atemnot die ersten dumpfen Schmerzen überlagert hat. 

Bei einem Unfall schüttet das Gehirn außerdem Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol aus, die sich auf das Gedächtnis auswirken. Die Amygdala, ein Bereich in deinem Gehirn, der Emotionen verarbeitet, kann dadurch traumatische Erinnerungen so stark beeinflussen, dass sie fragmentiert oder undeutlich werden. Gleichzeitig kann der Hippocampus, der für die Speicherung deiner Erinnerungen zuständig ist, durch den Stress beeinträchtigt werden. Dadurch werden die genauen Details des Traumas nicht richtig abgespeichert. Dieser Prozess hilft, deinen emotionalen Schmerz zu verringern und dich zu schützen. Trotzdem erleiden einige Verletzte eine zusätzliche posttraumatische Belastungsstörung und haben zum Beispiel Angst, an den Unfallort zurückzukehren oder den Sport wieder aufzunehmen. 

Etwas, das ich damals noch nicht wusste: Bei Rückenverletzungen wird dringend empfohlen, nach einem Sturz wenig bis gar keine weiteren Bewegungen zu machen.1 Denn die gebrochenen Knochen können weiter brechen, Stabilität verlieren und eine Verletzung der Nerven im Rückenmark oder der Bandscheiben begünstigen. Entsprechend verlief mein Krankentransport so, als würden die Sanitäter zerbrechliche Fracht transportieren. Vor der Kernspintomographie wurden mir metallhaltige Kleidungsstücke sogar vom Körper geschnitten, damit ich mich nicht bewege. 

Teil 2: Die Diagnose

In einem Krankenhaus nahe des Skigebietes wurde bestätigt, dass es bei der Stauchung meiner Wirbelsäule zu vier Wirbelfrakturen in der Brustwirbelsäule kam, die gebrochen und keilförmig verformt waren. Dazu wurde ein kleiner Bandscheibenvorfall diagnostiziert. Mein Rücken wurde quasi wie eine Sprungfeder zusammengedrückt. 

Röntgenaufnahme der Wirbelsäule. Der Ausschnitt zeigt einen Wirbel mit einem Bruch.

Du kannst dir meine einzelnen Wirbel auch wie kleine Kuchen vorstellen, die auf einer Seite eingedrückt wurden. Von oben betrachtet hatten sie einen Riss, aber auch einen Teil, der unversehrt geblieben ist. In diesem verschonten Eck verlaufen meine Nerven, die glücklicherweise nicht verletzt wurden. 

Ein Wort zu Operationen an der Wirbelsäule

Ob eine Verletzung der Wirbelsäule durch Sport oder Unfälle operiert werden muss und wie die Heilung verläuft, ist sehr individuell. Es hängt nicht nur vom Schweregrad und Typ der Fraktur ab, sondern auch von deinem Alter, deinem allgemeinen Gesundheitszustand, deiner Knochendichte und deinem Lebensstil. Dein behandelnder Arzt bzw. deine behandelnde Ärztin schätzt ab, wie groß das Risiko eines sich weiter entwickelnden Bruches ist. Um neurologische Schäden zu vermeiden, kann ein operativer Eingriff notwendig sein. Besonders dann, wenn dein Körper die Stabilität nicht mehr gewährleisten kann. Das kann zum Beispiel eine Kyphoplastie oder Wirbelsäulenfusion sein 1 

Bei der Kyphoplastie wird mit Hilfe eines Röhrchens ein Ballonkatheter in den gebrochenen Wirbelkörper eingeführt. Dieser wird vorsichtig aufgeblasen, um den Wirbel wieder aufzurichten und einen Hohlraum zu schaffen. Der Ballon wird dann entfernt und der entstandene Hohlraum mit Knochenzement gefüllt, der aushärtet und den Wirbel in seiner Form stabilisiert. Das wird gemacht, wenn es, wie bei meiner Stauchung, zu einer Kompressionsfraktur kommt.

Sind die Wirbel zertrümmert oder stark beschädigt, werden die Teile bei einer Wirbelsäulenfusion entfernt. Die Lücken werden dann mit körpereigenem oder synthetischem Knochenmaterial zwischen den Wirbeln verbunden und mit Schrauben und Stangen aus Metall stabilisiert. Während dein Knochen heilt und zusammenwächst, wird er so in der richtigen Position stabilisiert.  

Teil 3: Was passiert nach einem Wirbelbruch?

Meine Kompressionsfrakturen konnten ohne Operation heilen, da sie ausreichend stabil und ohne neurologische Symptome waren. Das bedeutet, dass bei mir kein Kribbeln oder etwa Gefühllosigkeit in den Beinen oder Armen festgestellt werden konnte. So etwas nennt man einen stabilen Bruch.1 Diese Entscheidung hatte aber auch mit meinem Alter zu tun, da die Knochen noch im Wachstum und die Weichteile „jung” waren.

Bei stabilen Brüchen ist eine konservative Behandlung üblich, bei der Schmerztherapie, Immobilisierung und Physiotherapie zum Einsatz kommen.1 So war das auch bei mir. In den ersten Wochen nach dem Unfall wurde ich mit Schmerzmitteln therapiert, durfte nicht zur Schule gehen und musste enorm viel Zeit im Liegen verbringen. Warum? Liegen verringert den Druck auf Wirbelsäule und Bandscheiben, der durch Eigengewicht, Sitzdauer und Stöße beim Gehen entsteht. Je instabiler deine Wirbelsäule ist, desto wahrscheinlicher bekommst du eine Rückenstütze (Orthese). Dieser akute Ruhezeitraum kann bis zu 6 Wochen dauern. 

Danach konnte ich mit kontrollierter Mobilisierung beginnen, bei der ich mich wieder mehr bewegen und belasten durfte. Ich konnte auch wieder stundenweise den Unterricht besuchen. Wobei ich dabei, wenn möglich, eher stehen als sitzen sollte. Ärzt:innen raten in dieser Phase zu Physiotherapie, um die Beweglichkeit zu verbessern und die Muskelkraft zu erhalten, ohne die Heilung zu gefährden. Denn in diesem Zeitraum, der bis zu drei Monate andauernden subakuten Phase, beginnt sich die Fraktur zu festigen und die Schmerzen nehmen ab. 

Anschließend ging es für mich in die intensivere Rehabilitation. Mit Hilfe physiotherapeutischer Maßnahmen wurde dort versucht, die volle Beweglichkeit, Kraft und Funktion meines Rückens wiederherzustellen. Hier kamen spezifische Übungen zur Stärkung der Rücken- und Bauchmuskulatur sowie zur Verbesserung der Körperhaltung und des Gleichgewichts zum Einsatz. In meinem Fall wurde besonders die Muskulatur um die Brüche herum gestärkt, denn diese Muskulatur würde in Zukunft die Instabilität der Wirbel mit unterstützen. 

Unser Körper ist schlau, jeder kleinste vorhandene Muskel geht im Falle eines Unfalls in Anspannung und nimmt eine Schutzhaltung ein. Besonders die kleinen Muskeln an den Dorn- und Querfortsätzen. Entsprechend gehört zum Heilungsprozess eines Bruches auch manuelle Therapie, bei der entsprechende Muskeln gelockert werden, die um die Verletzung herum angespannt wurden und so die umliegenden Muskeln in Mitleidenschaft gezogen haben.

Das ist ein sehr mühsamer Prozess, bei dem ich mir nach langer Ruhephase vorkam, als müsste ich muskulär bei null anfangen. Wer von Grund auf eine starke Rückenmuskulatur besitzt, hat da mehr Glück. Es lohnt sich deshalb, präventiv den Rücken zu stärken! 

Um eine schwache Rückenmuskulatur wieder aufzubauen, brauchst du vor allem regelmäßiges Training. 

Teil 4: Lebenslang Physiotherapie nach einer Rückenverletzung?

Die schnelle Antwort ist: nein. Aber die ehrliche Antwort ist: Es hat 10 Jahre Physiotherapie, manuelle Therapie und Wärmebehandlung gebraucht, bis ich herausgefunden habe, was mir hilft. Dazu gehört auch heute noch, meinen Rücken und seine Schmerzen zu verstehen. Für mich war es überhaupt nicht hilfreich, einmal pro Woche an Geräten zu stehen und Übungen zu machen, die ich nur im Fitnessstudio und unter Beobachtung richtig ausführen konnte. Und die zusätzlich keinen Spaß machten. Mir haben die Übungen geholfen, die sich gut anfühlen und die man regelmäßig in den Tag, oder wenn Schmerzen auftreten, integrieren kann. Bei einer solchen Verletzung steht deine Rückengesundheit an erster Stelle. Es muss dir bewusst sein, dass du viel anfälliger bist für Schmerzen und entsprechend vorbeugen musst, besonders dann, wenn du lange sitzt oder bei Belastung. Es hilft auch, deinen Schmerz zu kennen, deine Grenzen ernst zu nehmen und zu wissen, womit du dir helfen kannst.  .  

Einige Patient:innen können nach einem Jahr wieder zu ihrer normalen Aktivität zurückkehren, einschließlich sportlicher Betätigung. Bei schwereren Frakturen oder Komplikationen kann deine Rehabilitation länger dauern. Konsequente Physiotherapie, regelmäßige Arztbesuche und Bildgebung (z.B. Röntgen, MRT) sind notwendig, um deinen Heilungsverlauf zu überwachen und zu stabilisieren.

Mir hat schlussendlich ein Mix aus Dehnungsübungen, rückenstärkenden Workouts und Wärme geholfen. Dann ging es nach knapp 10 Monaten zurück auf die Piste. 

Schützende Tipps für Skifahrer:innen

  1. Trage einen Rückenprotektor 

Auch wenn solche Schutzmaterialien manchmal teuer sein können, empfiehlt es sich, auf und abseits der Piste einen Helm und einen Protektor zu tragen. Dieser kann Stöße abfedern und die Wirbelsäule auch vor Gegenständen schützen. Es gibt harte Protektoren, die selbst mit Stangen und Parkmodulen fertig werden. Alternativ gibt es auch „weichere” Protektoren, die mit Körperwärme beweglicher werden und im Falle eines Sturzes Stöße gut abfangen und Druck von einem Punkt umverteilen können. Hier ist Prävention das A und O. Das gilt insbesondere beim Freeriden abseits der Piste, um das Verletzungsrisiko bei unkontrollierten Stürzen im freien Gelände zu reduzieren.

  1. Wärme deine Muskulatur vor Extremsportarten auf

Eine durchblutete Muskulatur kann Sportverletzungen vorbeugen und Gelenke auf Bewegung vorbereiten. Das Aufwärmen macht deinen Körper sowohl reaktiver, als auch beweglicher. Letzteres beugt auch Bänderrissen vor. 

  1. Stärke deine Rückenmuskulatur 

Eine gestärkte Rückenmuskulatur wirkt wie ein zusätzlicher Protektor. Du kannst dir vorstellen, dass die kleinen Rückenmuskeln um deine Wirbelsäule herum wie ein Sicherheitsnetz wirken können. Im Falle eines Unfalls können sie Außeneinwirkungen nicht nur abfedern, sondern die Wirbel auch stabilisieren. Ein starker Rücken verringert auf jeden Fall dein Verletzungsrisiko und senkt die Wahrscheinlichkeit für Schmerzen – auch an unfallfreien Skitagen!

  1. Position auf den Skiern

Viele Skifahrer:innen plagen nach einem Tag voller Abfahrten Schmerzen – vor allem im unteren Rücken. Mein Tipp: Denk an deine Körperhaltung und achte darauf, dass deine Knie leicht gebeugt sind und das Gewicht gleichmäßig verteilt ist. Wenn du beim Skifahren deinen Oberkörper aufrecht hältst und eine leicht nach vorne geneigte Körperhaltung einnimmst, reduzierst du den Druck auf die Lendenwirbelsäule.

Im Falle eines Unfalls auf der Piste gilt es zuerst den Unfallort zu sichern, Verletzte zu betreuen und den Notruf abzusetzen. Das ist auch eine der 10 FIS Verhaltensregeln, die alle am Berg kennen sollten.2

Die europäische Notrufnummer ist die 112. In Deutschland, Italien, Südtirol, Slowenien und Frankreich wird dort auch die Bergwacht erreicht.3 In Österreich kannst du die 140 und in der Schweiz mit schweizer SIM die 1414 wählen. Weitere Informationen dazu findest du hier.

Quellen

  1. https://www.portal-der-orthopaedie.de/orthopaedie-gesundheit/verletzungen/verletzung-wirbelsaeule/rueckenverletzungen/rueckenverletzungen.html 
  2. https://www.alpenverein.de/files/fis_regeln_15291.pdf 
  3. https://www.alpenverein.de/artikel/notruf-und-rettung-in-den-alpen_3802c636-0bd1-4f83-a33a-e9b266bd51d8 
Mara Dietrich
PR & Kommunikation bei Kaia Health
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