Rückenschmerzen: Jede zweite Frau ist betroffen

Wer über Frauengesundheit spricht, muss auch über Rückenschmerzen sprechen! In Deutschland berichten über 60 Prozent der Frauen, mindestens einmal im Jahr davon betroffen zu sein. Wir haben uns auf die Suche nach den Ursachen gemacht.

Rehmesmee Gojowy

5 Min. Lesezeit · Mai 3, 2024
Man sieht eine Frau von hinten. Sie neigt den Kopf leicht zur Seite und fasst sich mit einer Hand an den Nacken und mit der anderen an die Schulter.

*Dieser Artikel erscheint im Rahmen des Internationalen Tages der Frauengesundheit am 28. Mai 2024. Er bezieht sich auf die spezifischen biologischen, psychischen und sozialen Ursachen von Rückenschmerzen, die den weiblichen Körper betreffen. Wir sind uns jedoch bewusst, dass soziale Faktoren und insbesondere festgefahrene Rollenbilder in Bezug auf den Umgang mit Schmerzen für alle Menschen eine Herausforderung sind. Daher sprechen wir hier explizit Menschen aller Geschlechtsidentitäten an, die sich für das Thema interessieren – unabhängig von der biologischen und medizinischen Definition von Frauen und Männern. 💙

Wir müssen reden! Und zwar über das Thema Rückenschmerzen bei Frauen. Dass Rückenschmerzen eine Volkskrankheit sind, lesen wir überall. Weniger bekannt ist, dass jede zweite Frau davon betroffen ist. 

Laut einer Erhebung des Robert-Koch-Instituts (RKI), hatten 66 Prozent der befragten Frauen in den vergangenen 12 Monaten mindestens einmal Rückenschmerzen.1 Unter den Männern waren es 56 Prozent. Noch auffälliger ist der Geschlechterunterschied jedoch beim Thema Nackenschmerzen. Während 36 Prozent der Männer von Nackenbeschwerden berichteten, waren es bei Frauen ganze 55 Prozent! Wir fragen uns, wie kommt das? 

Laut dem RKI stecken zum einen anatomische Ursachen dahinter, beispielsweise die geringere Muskelkraft von Frauen im Vergleich zu Männern. Zum anderen verarbeiteten Frauen ihre Schmerzen anders als Männer, was sowohl emotional als auch hormonell bedingt ist. 

Wir stellen fest: Es sind sowohl körperliche als auch psychische Faktoren daran beteiligt, dass Frauen häufiger Rückenschmerzen haben. Wir wollen es genauer wissen und werfen jetzt einen Blick auf die wichtigsten Risikofaktoren.

Gendermedizin: Geschlechtsspezifische Unterschiede 

Rückenschmerzen können grundsätzlich bei jedem Menschen auftreten. Es gibt jedoch bestimmte Unterschiede in der Art und Weise, wie Männer und Frauen Schmerzen erleben und darauf reagieren. 

Auch wenn es Hinweise darauf gibt, dass Frauen im Hinblick auf die Schmerzstärke sensibler sind und Schmerzen intensiver beschreiben, so gibt es bislang wenig Daten, die zu eindeutigen Ergebnissen kommen. 

Antworten liefert vor allem die Gendermedizin, die bereits seit den Neunziger Jahren geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Schmerzwahrnehmung auf den Grund geht. Ihr Ziel: Menschen jeden Geschlechts eine geschlechtsspezifische, optimale medizinische Versorgung zu ermöglichen. 

Im Fokus der Gendermedizin stehen vor allem biologische, psychologische und soziale Ursachen.

Biologische Risikofaktoren für Rückenschmerzen bei Frauen

Biologisch gesehen haben Frauen eine andere Körperstruktur als Männer, aber das allein erklärt noch nicht, warum Frauen häufiger Rückenschmerzen haben. Andere körperliche Faktoren sind beispielsweise die genetische Veranlagung, hormonelle Schwankungen, insbesondere während der Menstruation und Schwangerschaft, sowie Entzündungen, beispielsweise eine Blasenentzündung.

Schauen wir uns die wichtigsten Faktoren noch einmal genauer an:

  • Schwangerschaft: 50 bis 70 Prozent aller Frauen berichten über Rückenschmerzen während ihrer Schwangerschaft.3 Das ist nicht verwunderlich, schließlich tragen schwangere Frauen jeden Tag ein zusätzliches Gewicht – allein der Babybauch wiegt am Ende der Schwangerschaft fünf Kilo!4 Dadurch erhöht sich der Druck auf den unteren Rücken. Auch führen die hormonellen Veränderungen dazu, dass sich die Gelenke, Sehnen und Bänder lockern, was ebenfalls das Risiko von Rückenschmerzen erhöht.Eine Studie hat jedoch gezeigt, dass die Rückenschmerzen bei den meisten Frauen in den Jahren nach ihrer Schwangerschaft wieder signifikant abnehmen.6
  • Einfluss der Menopause: Die Menopause kann ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf die Rückengesundheit von Frauen haben. Studien zeigen, dass der Verlust von Östrogen während der Menopause zu einer Verringerung der Knochendichte führen kann, was das Risiko von Osteoporose und damit verbundenen Rückenschmerzen erhöht.7 Verglichen mit gleichaltrigen Männern, haben Frauen während ihrer Wechseljahre außerdem häufiger Schmerzen im unteren Rücken.8 Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Muskulatur. Besonders am Anfang der Wechseljahre kann es zu einem Nachlassen der Muskelkraft kommen.9 Eine schwach ausgebildete Rückenmuskulatur kann die Wirbelsäule jedoch nicht ausreichend stützen, was zu Fehlhaltungen und -belastungen führt. Ein ausgewogenes Krafttraining zur Stärkung der Rückenmuskulatur ist in dieser Zeit also besonders wichtig.
  • Schuhe und Rückenschmerzen: Kommen wir zu einem Risikofaktor für Rückenschmerzen, der tatsächlich alle Geschlechter betrifft: High Heels! Eine Studie zeigt, dass das regelmäßige Tragen von High Heels tatsächlich zur Entstehung von Rückenschmerzen im unteren Rücken beiträgt.10 High Heels haben einen Einfluss auf die Funktionsweise der Sprunggelenke deiner Füße. Sie verändern deinen Gang, die Muskelaktivierung deiner Knie sowie deine Rumpfstabilität. Durch die ungleiche und unnatürliche Gewichtsverteilung lastet schließlich mehr Druck auf dem unteren Rücken, was Schmerzen und Verspannungen verursachen kann.10
  • Einseitige Bewegungen und berufsbedingte Rückenschmerzen: Frauen, die in Berufen arbeiten, die einseitige Bewegungen erfordern, beispielsweise langes Stehen, haben ein erhöhtes Risiko, chronische Rückenschmerzen zu entwickeln. Das gilt besonders für Pflegeberufe.11 Zahlen aus dem Jahr 2022 zeigen, dass 82 Prozent der in Deutschland tätigen Pflegekräfte Frauen sind.12 Pflegekräfte sind nicht nur lange auf den Beinen, sondern verbringen auch mehrere Stunden in einer vorgebeugten Haltung. Diese Belastung kann langfristig nachweislich zur Rückenproblemen führen.13 Das betrifft natürlich nicht nur Frauen, sondern Menschen aller Geschlechtsidentitäten, die in der Pflege oder anderen körperlich herausfordernden Berufen arbeiten.

Psychologische und soziale Faktoren für Rückenschmerzen bei Frauen

Schmerzreaktionen werden durch körperliche, aber auch durch zahlreiche soziale, kulturelle und psychische Variablen beeinflusst. 

Interessanterweise ist dabei auch das eigene Rollenverständnis relevant. Identifiziert sich ein Mann beispielsweise stark mit der traditionellen Männerrolle von Stärke und Kraft, hat er eine höhere Schmerztoleranz als Frauen. Glaubt er nicht an dieses Rollenbild, verschwindet dieser Unterschied in der Schmerzwahrnehmung zwischen beiden Geschlechtern laut einer Studie.14 

Wie du gleich sehen wirst, ist das eigene Rollenverständnis ein wichtiger Faktor für die Schmerzwahrnehmung – auch für Frauen! Schauen wir uns mal genauer an, welche psychischen und sozialen Faktoren hier Einfluss haben können:

  • Emotionaler Umgang mit Schmerz: Bewältigungsstrategien wie beispielsweise das Katastrophisieren sind mit einer geringeren Schmerztoleranz und höherer Sensibilität gegenüber Schmerzen assoziiert. Eine Studie zeigt, dass Frauen eher zu katastrophisierenden Gedanken neigen, was zu Ängsten und einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit führen kann.15
  • Rollenspezifische Stressfaktoren: Hohe Erwartungen an soziale Rollen begünstigen sowohl bei Männern als auch bei Frauen die Entstehung von Stress und damit auch Rückenschmerzen. Stress allein ist bereits ein Risikofaktor für Rückenschmerzen, da er nachweislich zu einer höheren Anspannung der Muskulatur und somit zu schmerzhaften Verspannungen führen kann. Stress entsteht beispielsweise durch die vielfältigen Verantwortlichkeiten, die viele Frauen im Alltag zu jonglieren haben: Kinder, Freunde und Familie, Pflege der Angehörigen, Haushalt und in vielen Fällen ein Teil- oder Vollzeitjob. Viel Multitasking, wenig Zeit für sich selbst. Noch dazu werden Frauen in ihrer Rolle gesellschaftlich immer noch abgewertet oder sogar diskriminiert, was sich negativ auf den Umgang mit Stress auswirkt.16 
  • Psychische Belastungen und Erkrankungen: Studien belegen, dass Frauen häufiger an Depressionen und Angststörungen erkranken als Männer.16,17 Da sich psychische Belastungen und Schmerzen gegenseitig bedingen, liefern diese Forschungsergebnisse wichtige Antworten auf die Frage, warum Frauen häufiger von Rückenschmerzen berichten als Männer.  Menschen, die sich niedergeschlagen oder traurig fühlen, sind grundsätzlich empfänglicher für Schmerzen. So können Angst und depressive Symptome tatsächlich Rückenschmerzen verstärken und auch verursachen.18 Gleichzeitig haben Menschen mit chronischen Schmerzen ein bis zu dreimal höheres Risiko, eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Das gilt natürlich für alle Geschlechtsidentitäten.

Im Rahmen dieses Artikels haben wir nur einige der vielen psychischen, sozialen und biologischen Ursachen benannt, die zu Rückenschmerzen und speziell Rückenschmerzen bei Frauen führen können. 

Abschließend möchten wir dich und alle Leserinnen ermutigen, euch selbst zu priorisieren und eure Gesundheit ernst zu nehmen. Rückenschmerzen treten zwar häufig auf, lassen sich jedoch in den meisten Fällen gut behandeln. Wenn du Fragen hast, empfehlen wir dir, einen Arzt bzw. eine Ärztin aufzusuchen, um dich bestmöglich zu deinen Behandlungsoptionen beraten zu lassen. 

Quellen

  1. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/JoHM_S3_2021_Rueckenschmerz_Nackenschmerz.pdf?__blob=publicationFile 
  2. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/s-0034-1381967.pdf 
  3. https://medisiegel.de/gesundheit/rueckenschmerzen/schwangerschaft 
  4. https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Gewichtszunahme-in-der-Schwangerschaft-Gesunde-Pfunde,gewichtszunahmeschwangerschaft100.html 
  5. https://link.springer.com/article/10.1007/s12178-008-9021-8 
  6. https://journals.lww.com/spinejournal/abstract/1997/12150/back_pain_in_relation_to_pregnancy__a_6_year.18.aspx 
  7. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4858456/ 
  8. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2214031X16300158 
  9. https://www.frauenaerzte-im-netz.de/erkrankungen/rueckenschmerzen/rueckenschmerzen-im-zusammenhang-mit-den-wechseljahren/ 
  10. http://www.mysciatica.net/uploads/1/0/7/0/10703895/high_heeled_shoes_can_cause_low_back_pain.pdf 
  11. http://www.mysciatica.net/uploads/1/0/7/0/10703895/high_heeled_shoes_can_cause_low_back_pain.pdf 
  12. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1029877/umfrage/verteilung-von-pflegekraefte-in-deutschland-nach-pflegeart-und-geschlecht
  13. https://www.bgw-online.de/bgw-online-de/themen/gesund-im-betrieb/gesunder-ruecken/haeufiges-beugen-eine-unterschaetzte-belastung-fuer-22350 
  14. Pool GJ et al. Role of gender norms and group identification on hypothetical and experimental pain tolerance. Pain 2007;129:122-9. 
  15. https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/22201173.2009.10872580 
  16. https://hellobetter.de/blog/warum-depressionen-bei-frauen-vorkommen/ 
  17. https://www.frauengesundheitsportal.de/themen/psychische-erkrankungen/angststoerung
  18. https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/neurologie/ratgeber-archiv/artikel/angst-und-depressive-symptome-koennen-anhaltende-rueckenschmerzen-verursachen/ 
Rehmesmee Gojowy
Lifestyle & Healthcare Copywriterin bei Kaia Health
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