Am 28. Mai ist Welttag der Frauengesundheit! Eine hervorragende Gelegenheit, sich auf das Wohlbefinden und die speziellen Gesundheitsbedürfnisse von Frauen zu konzentrieren. Zu diesem Anlass wollen wir verstehen, wie die Schmerzwahrnehmung von Frauen tickt, warum sie häufiger Rückenschmerzen bekommen und welche Rolle ihre Hormone dabei spielen.
In diesem Artikel befassen wir uns noch etwas mehr mit der mentalen Gesundheit. Genauer gesagt mit einer Methode, die du im Alltag nutzen kannst, um Stress zu reduzieren. Die Rede ist von Achtsamkeit. Dabei hilft uns Anne Plidschun!
Über Anne Plidschun
Anne Plidschun ist Diplom-Psychologin und arbeitet bei Kaia Health. Ihr Schwerpunkt liegt auf der kognitiven Verhaltenstherapie, psychologischer Schmerztherapie sowie Entspannungsverfahren. Dank ihrer therapeutischen Erfahrung im klinisch-psychiatrischen und ambulanten Bereich ist Frau Plidschun unsere erste Ansprechpartnerin für Themen rund um Psychologie, mentale Gesundheit und Achtsamkeit!
Stell dir vor, man würde dir jeden Morgen ein Buch auf den Tisch legen, das aus 60.000 bis 80.000 Sätzen, Wörtern und Bildern besteht. Jeden Tag wäre es deine Aufgabe, dieses Buch zu wälzen – und nebenbei dein Leben wie gewohnt zu leben. Klingt unmöglich? Was, wenn wir dir sagen, dass du das Buch bereits verinnerlicht hast? Tatsächlich bist du ein Meister bzw. eine Meisterin darin, es zu lesen!
Jeden Tag hast du nämlich bis zu 80.000 einzelne Gedanken.1 Das Problem: Je mehr du in Gedanken versunken bist, tagträumst oder grübelst, desto weniger Aufmerksamkeit schenkst du dem Hier und Jetzt: „Sind wir nicht im gegenwärtigen Moment präsent, sondern in Gedanken versunken, neigen wir eher zu negativen Stimmungen, haben Angst oder machen uns Sorgen. Das liegt daran, dass sich unsere Gedanken aus evolutionsbiologischen Gründen eher auf Gefahren konzentrieren, als auf positive Dinge. Dieses Verhalten hat zwar vor vielen tausend Jahren unser Überleben gesichert, doch führt es heutzutage dazu, dass diese Gedanken unser Wohlbefinden im gegenwärtigen Moment trüben”, erklärt Anne Plidschun. „Wenn wir also sorgenvoll über die Zukunft oder Vergangenheit nachdenken, führt das dazu, dass wir uns gestresster und belasteter fühlen. An diesem Punkt kann uns Achtsamkeit helfen.”
Achtsamkeit ist ein Begriff, der in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und das zu Recht. Tatsächlich ist Achtsamkeit eine wertvolle Ressource, um mit Stress und sogar Schmerzen besser umgehen zu können. Damit du verstehst, wie wichtig diese Technik für dein Wohlbefinden ist, machen wir zunächst einen kleinen Exkurs zum Thema Stress.
Die Bedeutung von Stress für deine mentale Gesundheit
Stress ist eine natürliche Reaktion unseres Körpers auf Herausforderungen oder Bedrohungen und wurde uns evolutionär mitgegeben, damit wir auf Gefahren angemessen reagieren können. Klar, wenn dich ein Säbelzahntiger jagt, macht die körperliche Stressreaktion Sinn. Innerhalb von Sekunden produziert dein Körper vermehrt die Hormone Kortisol und Adrenalin. Dadurch steigen deine Herzfrequenz und dein Blutdruck, deine Sinne schärfen sich und du kannst für einen Moment körperliche und geistige Höchstleistungen vollbringen.2 Im Grunde stellt dir dein Körper auf Knopfdruck zusätzliche Energie bereit, die du in der Steinzeit nutzen konntest, um schnell zu flüchten oder zu kämpfen.2
„Stress ist nicht immer etwas Negatives”, erläutert Frau Plidschun. „Eine kurzfristige, überschaubare Stressreaktion kann durchaus positiv sein. Wichtig ist zu unterscheiden, ob es sich bei meinem Stress um Eustress oder Disstress handelt.”
Laut Anne Plidschun bedeutet Eustress, dass Herausforderungen von dir eher als positiv, leistungssteigernd und motivierend wahrgenommen werden. Ist die Herausforderung vorüber, fährt dein Körper wieder runter. Dazu hat er eine eingebaute „Stressbremse”, das parasympathische Nervensystem. Einmal aktiviert, sorgt es dafür, dass dein Körper und Geist wieder zur Ruhe kommen.3
Ungesund wird es dann, wenn diese natürliche Regulation nicht stattfindet. Das geschieht, wenn du Anforderungen gegenüberstehst, die dich überfordern oder sogar bedrohen. „Der Gegenspieler von Eustress ist Disstress. Hält dieser Stresszustand dauerhaft an, wirkt er sich negativ auf unsere mentale und sogar körperliche Gesundheit aus”, so Plidschun.
Was als Überforderung erlebt wird, ist dabei von Mensch zu Mensch verschieden. Eines haben wir jedoch gemeinsam: Unser Körper kann nicht unterscheiden, ob wir vor einem gefährlichen Raubtier oder beispielsweise einer beruflichen Herausforderung stehen. Auch andere emotionale Konflikte, zum Beispiel am Arbeitsplatz oder in der Partnerschaft, triggern die körperliche Stressreaktion. Das Problem: die bereitgestellte Energie unseres Körpers wird von uns nicht verbraucht – wir befinden uns quasi in einem Alarmzustand, ohne dass die natürliche Entspannungsreaktion eintritt, was gesundheitliche Folgen haben kann.4,5
Anlässlich des Welttags der Frauengesundheit, schauen wir uns jetzt spezifische Stressauslöser an, mit denen vor allem Frauen im Alltag konfrontiert sind:
Spezifische Stressoren von Frauen
- Berufliche Herausforderungen: Frauen erleben Frauen in vielen Berufen Diskriminierung. Sie werden zum Beispiel seltener befördert und dass obwohl sie laut einer Studie sogar leistungsfähiger sind.6 Außerdem sind Frauen häufiger von Mobbing am Arbeitsplatz betroffen als Männer. Das führt zu einem erhöhten Stresslevel und wirkt sich erheblich auf die mentale Gesundheit aus.7
- Familiäre Verpflichtungen: Viele Frauen tragen heutzutage weiterhin die Hauptlast der Hausarbeit und Kinderbetreuung, während sie voll berufstätig sind. Diese Doppelbelastung kann erheblichen Stress verursachen und führt laut einer Umfrage in vielen Fällen sogar zum Karrierestopp.8
- Soziale Erwartungen: Die gesellschaftlichen Erwartungen an das Aussehen, Verhalten und die Rolle der Frau können ebenfalls zu Stress führen. Das zeigt sich insbesondere in Bezug auf Körperbild und Altersnormen, die dazu führen, dass Frauen häufig sehr hohe Ansprüche an sich selbst entwickeln, die ebenfalls Stress verursachen.9,10
Körperliche und mentale Auswirkungen von Stress
„Langfristiger Stress kann zu einer Vielzahl von Gesundheitsproblemen führen, darunter ein geschwächtes Immunsystem, Schlafstörungen, Muskelverspannungen sowie Magen-Darmprobleme”, so Anne Plidschun. Im schlimmsten Fall kann Dauerstress sogar Herzerkrankungen verursachen.11
Stress belastet auch die Psyche. Anne Plidschun erklärt: „Was vielen nicht bewusst ist – Stress beeinflusst unsere kognitiven Fähigkeiten. So kann Dauerstress beispielsweise zu Konzentrationsstörungen und Schwierigkeiten beim Treffen von Entscheidungen führen. Aber auch Angst und Depressionen können Folgeerscheinungen von Dauerstress sein.”
Umso wichtiger ist es, einen gesunden Umgang mit Stress zu erlernen!
Achtsamkeit zur Reduktion von Stress
Die Ursprünge der Achtsamkeit lassen sich auf buddhistische Meditationstechniken zurückführen, die vor über 2500 Jahren entwickelt wurden.12 Im Grunde geht es um das bewusste Erleben des gegenwärtigen Moments, was durch eine Fokussierung auf das Hier und Jetzt erreicht werden soll. Anne Plidschun erklärt das Prinzip so: „Es geht darum, achtsam mit unserem Körper, unseren Gefühlen, Gedanken und unserem Verhalten umzugehen – und zwar mit einer inneren Haltung der Neugier und des Wohlwollens.”
Im Westen wurde Achtsamkeit vor allem durch die Arbeit von Jon Kabat-Zinn bekannt, einem Molekularbiologen, der in den 1970er Jahren das „Mindfulness-Based Stress Reduction“ (MBSR) Programm entwickelte.13 Dieses Programm wurde konzipiert, um Menschen dabei zu helfen, mit Stress, Angst, Depressionen und Schmerzen umzugehen.
Kabat-Zinn zählt zu den Begründern des modernen Achtsamkeitsbegriffs, besonders, da er sich dem Thema wissenschaftlich näherte.
Neben MBSR haben sich inzwischen auch andere achtsamkeitsbasierte Therapieformen entwickelt, wie die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) oder die Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT).
Aber wie genau lässt sich Achtsamkeit nun üben? Im Grunde ist es ganz einfach, wenn du dich an ein paar entscheidenden Grundprinzipien orientierst.
Grundprinzipien der Achtsamkeit
- Gegenwärtigkeit: Erlebe den Moment bewusst, ohne zu urteilen. Das kann zum Beispiel durch bewusstes Atmen oder das konzentrierte Wahrnehmen einzelner Sinne geübt werden.
- Akzeptanz: Nimm die Dinge so an, wie sie sind, ohne sie verändern zu wollen. Das hilft, Widerstände und daraus resultierende Stressreaktionen zu reduzieren.
- Nicht-Urteilen: Übe dich in einer Haltung des Nicht-Urteilens, um ein tieferes Verständnis für deine eigenen Gedanken und Gefühle zu erlangen. Es geht nicht darum, positiv zu denken, sondern all deine inneren Phänomene zu beobachten, ohne sie zu bewerten.14
Diese Prinzipien können auf unterschiedliche Weise praktiziert und geübt werden – und zwar von jedem und jeder! Anne Plidschun macht in diesem Zusammenhang auf Missverständnisse rund um das Thema Achtsamkeit aufmerksam: „Achtsamkeit ist nicht nur etwas für spirituelle Menschen. Sie erfordert keine spirituellen oder religiösen Überzeugungen, sondern nur die Bereitschaft, eine Methode zur Verbesserung der Eigenwahrnehmung und der Selbstregulation lernen zu wollen.”
Auch wenn es selten zu Nebenwirkungen einer Achtsamkeitspraxis kommt und Achtsamkeit generell von fast jedem durchgeführt werden kann, solltest du prüfen, ob Achtsamkeit für dich geeignet ist. Insbesondere beim Vorhandensein psychischer und körperlicher Erkrankungen empfehlen wir dir, einen Arzt bzw. eine Ärztin um Rat zu fragen.
Übungen und Methoden der Achtsamkeit
- Sitz- oder Geh-Mediation: Die bekannteste Achtsamkeitsübung ist die Meditation im Sitzen, bei der du deine Aufmerksamkeit bewusst auf den gegenwärtigen Moment richtest, um deine Konzentration zu fördern. Während der Geh-Meditation übst du hingegen das bewusste Auftreten und Abrollen deines Fußes, sowie die Wahrnehmung aller Bewegungsabläufe während des Gehens.
- Body-Scan: Beim Body-Scan geht es um das Erspüren deines Körpers von innen heraus. In einer bestimmten Reihenfolge versuchst du, verschiedene Körperteile wahrzunehmen und in dich hinein zu fühlen – wie fühlt sich dein Körper an? Wo ist er weich, warm oder sogar verspannt? Es geht nicht darum, den Body-Scan perfekt zu „können”. Wenn du deinen Körper an einigen Stellen nicht so gut wahrnehmen kannst, machst du alles richtig. Hauptsache, du übst deine Wahrnehmung.
- Atembeobachtung: Atemübungen und Atemmeditationen sind ein wichtiges Element der Achtsamkeitspraxis, da sie eine entspannende Wirkung auf dein ganzes System haben. Bei der Atembeobachtung fokussierst du dich beispielsweise darauf, alle körperlichen Empfindungen des Atmens wahrzunehmen, wie das Ein- und Ausströmen der Luft an deinen Nasenflügeln.
- Achtsame Bewegung: Achtsamkeit bedeutet nicht gleich, still zu sein. Praktiken wie Yoga oder Tai Chi, die Bewegung und Atmung vereinen, sind ebenfalls gute Übungen, um Körper und Geist in Einklang zu bringen.
- Alltägliche Achtsamkeit: Achtsamkeit kannst du jeden Tag üben, zum Beispiel beim Essen, Zähneputzen oder sogar beim Abwaschen. Sei einfach voll und ganz bei der Sache, die du gerade tust. So wird Achtsamkeit zu deiner inneren Haltung – ein bewusstes Ausrichten deiner Aufmerksamkeit auf deine Gedanken, Gefühle und Handlungen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Reduktion von Stress und Schmerzen
Mittlerweile ist gut belegt, dass achtsamkeitsbasierte Techniken helfen können, dein allgemeines Wohlbefinden und deine mentale Gesundheit zu verbessern.
Ein Schlüsselelement ist die Fähigkeit der Achtsamkeit, dein Stressniveau zu senken. Durch regelmäßige Achtsamkeitspraxis können Veränderungen im Gehirn stimuliert werden, die sogar zu einer erhöhten Resistenz gegenüber Stress führen.15 So wird deine Fähigkeit verbessert, auf Stress mit Ruhe und Klarheit zu reagieren, anstatt mit Angst oder Panik.
„Eines meiner liebsten Zitate stammt von dem Neurologen und Psychiater Viktor Frankl: Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion – in unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit. Genau diesen Raum ermöglicht dir Achtsamkeit. Beobachte dich selbst, wie du denkst, wie du fühlst. Das ermöglicht dir, bewusst zu entscheiden, wie du handeln möchtest. Mit dieser Praxis holst du dich immer wieder in den gegenwärtigen Moment zurück”, sagt Anne Plidschun.
Kurz gesagt
Achtsamkeit ist mehr als eine Meditationspraxis; sie ist ein umfassendes Werkzeug für ein gesünderes, stressfreieres Leben. So bietet die Technik nicht nur Frauen sondern allen, die die vielfältigen Anforderungen des Lebens jonglieren, eine einfache und effektive Methode, um sowohl die geistige als auch die körperliche Gesundheit zu fördern und zu erhalten.
Abschließend hat Frau Plidschun noch einen Tipp für dich: „Wie jede andere Fähigkeit erfordert auch Achtsamkeit Zeit, Geduld und eine regelmäßige Praxis. Es ist ganz normal, dass dir die Übungen am Anfang noch etwas schwer fallen und ungewohnt sind, du oft abschweifst oder unruhig wirst. Werte dich deshalb nicht ab, sondern übe dich in Akzeptanz! Bleib im Sinne der Achtsamkeit dabei und beobachte einfach, was gerade in dir vorgeht.”
In diesem Sinne wünschen wir dir eine entspannte Zeit und viel Freude bei deiner Praxis.
Quellen
- https://www.zeit.de/karriere/beruf/2015-08/positives-denken-karriere-job
- https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/was-ist-stress-reduzieren-symptome-definition-100.html
- https://www.tk.de/techniker/magazin/life-balance/stress-bewaeltigen/gehirn-hormone-stress-2006900
- https://www.tk.de/techniker/magazin/life-balance/stress-bewaeltigen/was-ist-stress-2006882
- https://www.internisten-im-netz.de/fachgebiete/psyche-koerper/stress.html
- https://www.businessinsider.de/karriere/befoerderung-warum-frauen-oft-seltener-befoerdert-werden/
- https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/studie-jeder-dritte-deutsche-erwachsene-wird-gemobbt-15797118.html
- https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Presse/imported/downloads/xcms_bst_dms_31978_31979_2.pdf
- https://ccdi-unisg.ch/wp-content/uploads/2015/10/buchbeitrag_erh%C3%B6hter_stress_bei_weiblichen_f%C3%BChrungskr%C3%A4ften.pdf
- https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/148058/Frauen-fuehlen-sich-haeufiger-gestresst-als-Maenner
- https://www.usz.ch/krankheit/stress
- https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/achtsamkeit-und-gesundheitsfoerderung/
- https://www.mbsr-verband.de/achtsamkeit/mbsr
- https://www.reha-klinik-am-lietholz.de/SharedDocs/Downloads/utersum/handout_sieben_saeulen_achtsamkeit.pdf?__blob=publicationFile&v=2
- https://www.uni-giessen.de/de/ueber-uns/pressestelle/pm/pm333-11
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